Referendum in Ecuador: Ja zur Militarisierung, Nein in Wirtschaftsfragen

Mehr "Law and Order" befürwortet. Änderung der Arbeitsrechte abgelehnt. Soziale Bewegungen über freie Hand für das Militär besorgt

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Laut Expert:innen ist das Referendum eine Art Vorwahl des rechtskonservativen Spektrums, um Noboa als Kandidaten für die Wahlen im Februar zu zementieren
Laut Expert:innen ist das Referendum eine Art Vorwahl des rechtskonservativen Spektrums, um Noboa als Kandidaten für die Wahlen im Februar zu zementieren

Quito. Unter dem Schutz eines großen Polizeiaufgebots und mehrerer zehntausend Soldaten haben die Ecuadorianer:innen am vergangenen Sonntag über ein Referendum zu Sicherheits- und Wirtschaftsfragen abgestimmt. Das von der Regierung von Daniel Noboa vorgelegte Referendum umfasste einen Katalog von elf Fragen, über die jeweils einzeln entschieden werden konnte.

Neun dieser Fragen, die vor allem die innere Sicherheit betreffen, wurden mit jeweils 60 bis 73 Prozent befürwortet. Demnach kann die Regierung künftig unter anderem das Militär im Inneren einsetzen, ohne zuvor den Ausnahmezustand ausrufen zu müssen; die Strafen für schwere Straftaten wie Terrorismus, Mord, Drogen- und Menschenhandel werden verschärft; die Sicherheitskräfte können Waffen und Munition, die bei illegalen Aktivitäten verwendet wurden, beschlagnahmen und selbst nutzen; der Staat kann Vermögenswerte einziehen, die einen illegalen oder ungerechtfertigten Hintergrund haben.

Die Wahlberechtigten haben auch dafür gestimmt, dass Ecuadorianer:innen ins Ausland ausgeliefert werden dürfen. Dieser Punkt ist deshalb interessant, weil die gleiche Frage in einem ähnlichen Referendum Anfang 2023 unter dem damaligen Präsidenten Guillermo Lasso noch abgelehnt wurde.

Von großer Tragweite dürfte die Ablehnung der beiden Fragen zur Wirtschaft sein. Mit 63 beziehungsweise 67 Prozent stimmten die Bürger:innen gegen die Anerkennung internationaler Schiedsgerichte zur Beilegung von Investitions-, Vertrags- oder Handelsstreitigkeiten und gegen eine Reform des Arbeitsgesetzbuches hinsichtlich befristeter und stundenweiser Arbeitsverträge.

Der Zeitpunkt des Referendums ist für Ecuador nicht einfach. Der Andenstaat leidet unter einer schweren Energiekrise, die Noboa dazu veranlasst hat, den Notstand im Energiesektor auszurufen und den Strom vorübergehend zu rationieren. Darüber hinaus bleibt die Sicherheitslage im Land kritisch.

Die Zahl der Tötungsdelikte, die 2023 bei über 8.000 lag, soll zwar zuletzt etwas zurückgegangen sein, dafür hat aber beispielsweise die Zahl der Erpressungen und Entführungen deutlich zugenommen. In Guayaquil, der größten Stadt mit dem wichtigsten Hafen des Landes, soll die Zahl dieser Delikte zwischen dem 1. Januar und dem 7. März bei 600 gelegen haben, mehr als fünfmal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Noboa zufolge brauchen die Ecuadorianer:innen daher "dringend Reformen, die es uns ermöglichen, unsere Sicherheit zu bewaffnen".

Die indigene Organisation Conaie befürchtet, dass "der regelmäßige Einsatz der Streitkräfte für Aufgaben der inneren Sicherheit zu einer Militarisierung der Gesellschaft führen könnte, mit negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten".

Ähnlich unterschiedlich sind die Positionen in Wirtschaftsfragen. Nach Ansicht der Regierung sollten die neuen Möglichkeiten zur Gestaltung von Arbeitsverträgen die Formalisierung der Arbeit vorantreiben und die Anerkennung internationaler Schiedsgerichte neue Investitionen im Land ermöglichen. Kritiker:innen gehen hingegen davon aus, dass dies eher zu einer weiteren Prekarisierung der Arbeit führen und das Land für Klagen internationaler Firmen verwundbar machen würde.

Die sozialen Bewegungen haben das Referendum insgesamt als unnötig bezeichnet. Dabei spielt eine wesentliche Rolle, dass das Parlament zu den meisten Themen auch ohne Referendum entsprechende Verordnungen hätte ausarbeiten können, wodurch 60 Millionen US-Dollar eingespart worden wären.

Das Referendum soll nach Meinung von Expert:innen eher die Position der Regierung stärken als wirkliche Lösungen bieten. Der Politikwissenschaftlerin Stephanie Macías zufolge gibt es in Ecuador ein Muster, wonach Referenden in der Vergangenheit immer dann erfolgreich waren, wenn die amtierende Regierung Zustimmungsraten von über 40 Prozent hatte. "Es geht also nicht nur um den Kontext oder den Inhalt des Referendums, sondern auch um das Vertrauen und die Legitimität, die die Bürgerinnen und Bürger der Regierung mit ihrer Stimme geben wollen", so Macías.

Noboa genießt seit seinem Amtsantritt im vergangenen Herbst hohe Zustimmungswerte. Diese sind in letzter Zeit etwas gesunken, liegen aber laut Umfragen immer noch bei etwa 58 Prozent.

Es gebe einen Zusammenhang zwischen dem Referendum und den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Februar 2025, analysiert der Anthropologe und Gefängnisexperte Jorge Núñez. Das Referendum sei eine Art Vorwahl des rechtskonservativen Spektrums, das Noboa als seinen Kandidaten zementieren könnte.

In diese Lesart passt auch die unter Expert:innen verbreitete Meinung, der Präsident habe in den letzten Wochen versucht, sein Image als Verfechter von "Law and Order" zu stärken. Auch der Sturm auf die mexikanische Botschaft (amerika21 berichtete), der international auf massive Kritik stieß, passe in dieses Muster.

Noboa selbst zeigt sich zufrieden mit dem Ergebnis. Auf seinem Instagram-Account versichert er: "Wir haben das Land verteidigt, jetzt werden wir mehr Mittel haben, um die Kriminalität zu bekämpfen und den ecuadorianischen Familien den Frieden zurückzugeben".

Die Oppositionspartei Revolución Ciudadana reklamiert hingegen den Sieg für sich, weil zwei Fragen mit Nein beantwortet wurden, und bezeichnet Noboa als "kleinen Diktator".

Der politische Analyst Matías Abad sieht eine Niederlage für beide Seiten, "weil die Bürgerinnen und Bürger nicht elfmal mit Ja oder elfmal mit Nein gestimmt haben".